Alkoholismus, Alkoholabhängigkeit, Alkoholkrankheit, Teil 19

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Abhängigkeitserkrankungen – Alkoholabhängigkeit

Alkoholismus, Alkoholabhängigkeit, Alkoholkrankheit, Alkoholiker

Seite 19

Dürfen trockene Alkoholiker wirklich nie wieder Alkohol trinken?

Die nachfolgenden Ausführungen sind eine Darstellung meiner persönlichen Ansicht. Es gibt durchaus andere Meinungen zu der oben gestellten Frage, die ich jedoch nicht teilen kann.

Während meiner therapeutischen Arbeit mit Alkoholikern und in Selbsthilfegruppen konnte ich beobachten, dass bereits geringe Mengen an Alkohol auch nach Jahren der Abstinenz ausreichen, um bei Rückfälligen altes Suchtverhalten zu reaktivieren. Der psychische und körperliche Verfall nach Rückfällen ist zudem häufig so dramatisch, dass viele Betroffene bereits nach kurzer Zeit ärztliche und oder suchtherapeutische Hilfe benötigen oder sich z. B. in die Entgiftungsstation eines Krankenhauses begeben müssen oder besser gesagt, sich in der Entgiftungsstation wiederfinden. Vor diesem Hintergrund beantworte ich die oben gestellte Frage mit einem eindeutigen “Ja“, sie dürfen nie wieder Alkohol trinken.

Für Alkoholiker und auch für Nichtalkoholiker ist es oft schwer verständlich, warum eine Rückkehr zu gemäßigtem sozialen und kontrollierten Trinken unmöglich sein soll. Dabei verfügen insbesondere viele Betroffene in stationären Therapien über ausreichend Erfahrung mit der Richtigkeit dieser Aussage. Wie oft haben sie in ihrem abhängigen Leben versucht, kontrolliert zu trinken und immer wieder ist dieser Versuch misslungen. PatintInnen, die diese Unmöglichkeit nicht hinreichend aus eigener Erfahrung kennen oder geistig nachvollziehen können, werden i. d. R. auch einen weiteren Versuch unternehmen, “kontrolliert zu trinken”. Früher oder später scheitert aber auch dieser Versuch, wie alle anderen Versuche vorher auch.

Aus Tierversuchen ist bekannt, dass es bei höheren Lebewesen nach längerem Missbrauch von Alkohol so etwas wie einen Punkt gibt, von dem es keine Rückkehr (point of no return) zum unproblematischen Konsum gibt. Nach Schneider (1997) ist diese Unfähigkeit, in einem Zusammenhang mit einer andauernden Veränderung des Hirnstoffwechsels zu sehen, die sich während der Abstinenz nicht zurückbildet. Ein biochemischer Nachweis bei Menschen ist bislang nicht gelungen.

So werden z. B. den Menschen neuro-biochemisch sehr ähnliche Ratten süchtig, wenn sie kontinuierlich Alkohol oder Opiate konsumieren. In einer Rattenpopulation entwickelt sich in eine Anzahl von Hochkonsumenten und eine Anzahl von Niedrigkonsumenten, deren jeweiliges Konsumverhalten zunächst konstant bleibt. Nach einem etwa fünf bis acht Monate anhaltenden kontrollierten Konsum, zeigt sich eine kontinuierliche Steigerung der konsumierten Mengen, d. h. eine Toleranzerhöhung gegenüber den Wirkungen des Alkohols. Kurze Entzugsphasen unterbrechen diese Entwicklung nicht. Das Stadium der Sucht ist bei Ratten erreicht, wenn die Alkoholpräferenz so weit gestiegen ist, dass auch durch Chinin vergällter Alkohol getrunken wird. Die einmal manifeste Sucht behält die Ratte lebenslang. Auch bei langdauernder Abstinenz ist keine Rückkehr der Kontrolle über den Alkoholkonsum zu beobachten. Der Übergang vom kontrollierten Substanzverbrauch zur Sucht ist unumkehrbar. Der zuvor angesprochen “point of no return” ist erreicht.